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Konfliktfelder im Wohnalltag

Wenn alltägliche Situationen zum Problem werden
Jonas Baum, Nicole Blasko, Nina Henny, Sereina Oetiker, Stephanie Keller, Juli '23

Ohne Papiere zu leben, prägt den Wohnalltag. Im Rahmen des Projektes «Stadt ohne Papiere», das die Wohnbedingungen von Sans-Papiers in Zürich erforscht, thematisierte ein Teilprojekt daher die Frage, wie die Wohnbedingungen von Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus ihren Alltag und ihre Nachbarschaftsbeziehungen prägen. Dieser Blogeintrag und das Booklet "Konfliktfelder im Wohnalltag von Sans-Papiers in Zürich" geben Einblicke in die unterschiedlichen Wohnbedingungen von Sans-Papiers.

Diese Beiträge bauen auf einer qualitativen Datenerhebung auf, für die 15 Interviews mit Sans-Papiers und begleitende Mental Maps als Forschungsmethoden genutzt wurden. Der Fokus bei der Aus-wahl der Interviewpartner:innen lag auf Familien, die mit Kindern in einer Wohnung leben. Die dargestellten Forschungsergebnisse fokussieren auf zwei Themenfelder: ihre Wohnbedingungen und daraus entstehende Spannungsfelder in ihrem Wohnalltag.

Die Wohnbedingungen von Sans Papiers lassen sich durch ihre grosse Diversität, unter anderem bezüglich des Mietverhältnisses, des Ausbaustandards, der Grösse der Wohnung und der Wohndauer kennzeichnen. Tendenzen, die sich trotz dieser Diversität zeigen, sind zum Beispiel die kurzen Mietverhältnisse von unter einem Jahr. Das Mietverhältnis wird oftmals über Familie und Freunde, oder über solidarische Organisationen vermittelt. Die interviewten Sans-Papiers wohnen nur in Einzelfällen bei Privatpersonen (ausserhalb von ihrem Netzwerk) oder ihren Arbeitgebenden. Dies illustriert die Bedeutung eines sozialen Netzwerks.

Die in den Interviews geschilderten Wohnbedingungen lassen sich durch eine Reihe von Spannungsfeldern aufzeigen. Diese entstehen zu einem aufgrund der fehlenden mietrechtlichen Absicherung, zum anderen aus den daraus resultierenden Strategien, den Wohn-alltag zu meistern. In diesen Spannungsfeldern verhandeln die Be-fragten häufige gegensätzliche, sich beeinflussende Anforde-rungen, was oftmals zu einer psychischen Belastung führt. Im Folgenden werden diese Spannungsfelder zusammenfassend erläutert.

Das erste Spannungsfeld betrifft die Temporalität der Wohn-verhältnisse und der Wohnstabilität. Dabei geht es um die Gegen-sätzlichkeit zwischen häufigen Wohnortwechseln und dem Wunsch nach Bleibesicherheit. Ein Kind kann dieses Feld beeinflussen, was sowohl Vorteile als auch Nachteile mit sich bringen kann. Einerseits ist die Unterstützung durch Organisationen oder die Vermietenden grösser, wenn ein Kinder betroffen sind, andererseits können Kinder die Suche nach Wohnraum einschränken. Beispielsweise wurde von den Befragten betont, dass das Zusammenleben mit anderen Menschen und einem Kind schwierig sei und der Radius der Wohnungssuche durch den Standort der Schule eingegrenzt würde.

Das zweite Spannungsfeld ergibt sich aus der Bedeutung von Anonymität einerseits und der Notwendigkeit eines sozialen Netzwerks anderseits. In den Interviews hat sich gezeigt, dass ein grosses, gut ausgebautes Netzwerk für Sans-Papiers zentral ist, um Wohnraum zu finden. Die Möglichkeit, das eigene Netzwerk aus-zubauen und somit die Wohnungssuche zu erleichtern, wird jedoch durch die Notwendigkeit aufgrund des fehlenden Aufenthaltsstatus anonym zu bleiben geschmälert.

Schliesslich ergeben sich Spannungen zwischen der Abhängigkeit von Sans-Papiers von anderen Personen und ihrem Bedarf nach Sicherheit. Beispielhaft dafür sind das Lösen von Nachbar-schaftskonflikten oder das Sich-jemandem-anzuvertrauen, was die Gefahr von Polizeikontrollen birgt und dadurch die Sicherheit der Sans-Papiers gefährdet. Die Abhängigkeit zu Vermietenden entsteht durch eine ähnliche Dynamik: wenn sich Sans-Papiers Vermie-tenden anvertrauen, entstehen weitere Abhängigkeiten. Dies wiederum kann die persönliche Sicherheit der Sans-Papiers schmälern. Gleichzeitig kann ein Vertrauensverhältnis zum Vermietenden Sicherheit vermitteln.

Im Booklet «Konfliktfelder im Wohnalltag von Sans-Papiers in Zürich» veranschaulichen zwei Personen ihre Wohnbedingungen und die eingeleiteten Spannungsfelder im grösseren Detail: eine alleinerziehende Mutter und ein alleinstehender Mann. Diese Per-sonen sind zur Anonymisierung der Daten fiktiv. Ihre Geschichten orientieren sich jedoch an den Erlebnissen aus den Interviews und sind für die geschilderten Erfahrungen der Sans-Papiers beispiel-haft.

Dieses Teilprojekt brachte erste Erkenntnisse über die Wohnbedingungen von Sans-Papiers. Weitere Forschung zu den Wohnbedingungen von Sans-Papiers ist notwendig, nicht zuletzt da sie sich in einer sehr prekären Lage befinden. Schwerpunkte dieser Forschung könnten die Beziehungen zwischen Sans-Papiers und ihren Vermieter:innen, sowie der Rolle der Nachbarschaft und der Aufbau von sozialen Netzwerken in der Schweiz sein.

▲ Abbildung 1: Kofferpacken als häufiges Wohnerlebnis vieler Sans-Papiers. (Quelle: Tama 66 @ Pixabay 

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