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Wohnungssuche als
Sans-Papier in Zürich

Anna Dieckmann, Jonas Buchmann, Kira, Leah Heuri, Maria, Nina Nikles, Rose Nelson, Sofia, und Tom Roethenbaugh zusammen mit Nara, Danyal, Gantulga, Amad und Nima, Juli 2023

Von gesellschaftlichen und staatlichen Grenzen sowie dem Bedürfnis nach einem Leben auf Augenhöhe handelten Gespräche, die wir mit Sans-Papiers im Kanton Zürich geführt und in der Broschüre "Immer auf der Suche aber doch nie richtig gefunden – Sans-Papiers auf der Suche nach einer Wohnung in Zürich" aufbereitet haben. Als Sans-Papiers bezeichnen wir Menschen, die ohne Aufenthaltsbewilligung leben und daher versuchen unerkannt zu bleiben. Dieser unsichere Aufenthaltsstatus führt zu zahlreichen Nachteilen in allen Lebensbereichen. In Zeiten von Wohnungsnot und Inflation drängte sich uns die Frage auf, wie Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus im Kanton Zürich eine Unterkunft finden können.

Diese Wohnungsfrage haben wir in unserer Forschung und in der nun vorliegenden Broschüre untersucht. Unser Ziel war es zu ver-stehen, wie Sans-Papiers in Zürich eine Wohnung, ein Zimmer oder ein Bett finden, welche Schwierigkeiten, Risiken und Hindernisse sie dabei bewältigen müssen und welche Hilfe ihnen dabei zur Verfügung steht. Die zentrale Forschungsfrage lautete dement-sprechend: Welche Ansätze existieren bei der Wohnungssuche für Sans-Papiers im Kanton Zürich? Wie unterscheiden sich diese hinsichtlich Dringlichkeit, Prekarität, Intersektionalität und weiteren Aspekten? Welche Zusammenhänge können erkannt werden? Welche Beziehungen sind wichtig für die Wohnungsfindung und welche führen zu Schwierigkeiten? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, haben wir sozialwissenschaftliche Methoden angewandt. Wir haben acht biographische Interviews mit Sans-Papiers bzw. ehemaligen Sans-Papiers geführt und zusätzliches Material in der Form von „Mental Maps“ gesammelt. Das Interview-material wurde vollständig transkribiert und unter Anwendung eines Kodierleitfadens ausgewertet.

Verschiedene Zugänge zum Wohnungsmarkt

Unsere Analyse ergab verschiedene, teils sehr aufschlussreiche Ergebnisse über die unterschiedlichen Strategien von Sans-Papiers bei der Wohnungssuche, die sich entsprechend ihrer Sprache, Herkunft, Netzwerk, Arbeits- und Familiensituation unterscheiden. Eine zentrale Rolle spielen die sozialen Beziehungen bzw. das Netzwerk der Sans-Papiers zu Arbeitgeber:innen, Freund:innen, Be-kannten und sozialen Organisationen. Kontakte aus dem Herkunfts-land oder mit Menschen derselben Muttersprache ermöglichen Sicherheit und Unterstützung. Gleichzeitig sind Deutschkenntnisse bei der Wohnungssuche von grosser Bedeutung, da Kontakte zu deutschsprachigen Personen eine entscheidende Rolle bei der Integration in den Wohnungs- und Arbeitsmarkt spielen. Zudem beeinflusst die familiäre Situation und die Dringlichkeit, eine neue Wohnung finden zu müssen die Wohnungssuche der Sans-Papiers gemäss unserer Untersuchung stark: Für Sans-Papiers wird die Wohnungssuche komplizierter, wenn sie Verantwortung für eine Familie tragen – insbesondere, wenn Kinder Teil dieser Familie sind. Alleinerziehende Sans-Papiers müssen oft mit prekären Wohnbe-dingungen zurechtkommen. Kinder erschweren die Suche nach einer passenden Wohnung, da räumliche und soziale Stabilität und ausreichend Platz und Privatsphäre an Bedeutung gewinnen. Ent-sprechend fallen grosse Wohngemeinschaften (WGs), Zwischen-nutzungen, besetzte Häuser oder ein Sofa bei Freund:innen als Wohnungsoptionen für Sans-Papiers mit Kindern grösstenteils weg. Trotz dieser Herausforderungen können Kinder auch Zugänge zu Wohnraum eröffnen: Da das Leben von Sans-Papiers mit Familie meist als prekärer wahrgenommen wird, erhalten diese teilweise schneller Hilfsangebote von Mitmenschen. Zudem erweitert der Kindsschutz den rechtlichen Spielraum für Hilfsorganisationen, da diesen im Umgang mit Sans-Papiers Familien die Hände weniger

stark gebunden sind. So dürfen Sans-Papiers mit Kindern auch Wohnungen über Organisationen vermittelt werden – eine Möglich-keit die Sans-Papier ohne Kinder verschlossen bleibt.

Unter dem Radar

Die vorliegende Broschüre gibt zudem Einblicke in die Erfahrungen, Ängste, Wünsche und Hoffnungen von Sans-Papiers bei der Wohnungssuche. Ein oft genannter Aspekt ist der Wunsch nach Sicherheit: Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass die Notwendigkeit der Anonymität Sans-Papiers daran hindern kann, ihr soziales Umfeld zu erweitern, was die Entstehung und Instandhaltung von sozialen Kontakten erschweren kann. Unsere Gesprächspartner:innen berichteten, dass sie im Alltag ständig von Sorge, Misstrauen und Angst begleitet würden. Um ihren Aufenthaltsstatus zu verbergen, würden sie Umstände vermeiden, die Aufmerksamkeit auf sie ziehen. Dies gelinge besser, wenn möglichst wenig Personen über sie Bescheid wissen würden. Würde den Behörden zugetragen, dass sie ohne Papiere leben, müssten sie mit einer Ausschaffung und somit dem Verlust ihres in Zürich aufgebauten Lebens rechnen. Daher vermeiden Sans-Papiers es in der Gesellschaft sichtbar zu werden.

Während unsere Broschüre individuelle Strategien, persönliche Beziehungen und Herausforderungen des unsicheren Aufenthalts-status in der Wohnungssuche von Sans-Papiers zeigt, lässt sie einige Fragen offen. Beispielsweise wissen wir wenig über den Einfluss von individuellen Differenzkategorien – beispielsweise Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe – im Alltag und bei der Wohnungs-suche. Weitere, umfassende intersektionelle Untersuchungen sind nötig, um diesen Zusammenhang genauer zu beleuchten.

Der Wunsch nach einem stabilen Zuhause und sozialer Eingliederung bleibt – gemäss den uns vorliegenden Ergebnissen – oft ein unerfüllter. Unsere Broschüre, Gespräche und Resultate sollen deshalb dazu beitragen, für diese Thematik zu sensibilisieren und mehr Verständnis für die Notwendigkeit einer Veränderung der Wohnugsbedingungen von Sans-Papiers zu schaffen. Neben gundlegenden, humanitären Forderungen nach einem Recht auf Wohnen, ist das auch ein Gebot des Arbeitsmarktes: die Nachfrage nach der Arbeit, die Sans-Papiers vielfach ausführen (etwa Hausarbeit, Pflege, Betreuung, Gastronomie) ist zurzeit besonders hoch. Der Fachkräftemangel und der demographische Wandel böten sich an, unsere Gesetzeslage und Migrationspolitik zu überdenken. Die Situation auf dem Wohnungsmarkt (und somit auch die Wohnungssuche) für alle Menschen zu verbessern, die in der Schweiz leben, dürfte unserer Gesellschaft langfristig von unermesslichem Nutzen sein.

▲ Abbildung 1:  Wohnungssuche in Zürich (Quelle: N. Nikles)

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