
Studentisches Wohnen
Zwischen Ersparnis und Einschränkung: Studentische Perspektiven auf das Leben in Zwischennutzungen
Sophia Heller, Lisa Mariani, Gilles Aebischer, Andri Voser & Simon Perlmutter, Juni 2025
Das Modul «Stadt auf Zeit II» an der Universität Zürich behandelt Zwischennutzungen in der Stadt Zürich und widmet sich damit verbundenen Herausforderungen. Unsere Gruppe, bestehend aus fünf Geograph:innen, hat einen ganz eigenen Zugang zu dem Thema gefunden. Wir haben beschlossen, temporäre Wohnangebote für Studierende zu erforschen, um zu untersuchen, welche Wohnbedingungen sich für Studierende durch diese Wohnmodelle ergeben. In diesem Rahmen hat sich unsere Gruppe mit der gemeinnützigen Stiftung Jugendwohnnetz (JUWO) auseinandergesetzt, welche Wohnraum an Studierende, Praktikant:innen und Ausbildende vermittelt.
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Während Wohnraum in Zürich allgemein knapp ist, haben es junge Erwachsene umso schwerer sich in diesem engen Markt einzubinden. Vor allem für Studierende und Auszubildende, welche in der Regel über ein begrenztes Budget verfügen, ist die Situation besonders herausfordernd. Aus diesem Grund wurde 1983 das JUWO ins Leben gerufen, welches (meist temporären) Wohnraum für Studierende zu einem tiefen Preis anbietet. Da die Wohnungen, welche das JUWO über Genossenschaften oder private Besitzer anbietet, meistens in naher Zukunft saniert oder umgebaut werden, sind diese meistens nicht mehr in tadellosen Zustand. Wir haben uns daher folgende Forschungsfrage gestellt: Wie erleben Studierende die Nutzung temporärer Wohnmodelle, die über non-profit Vermittlungs-organisationen für studentischen Wohnraum angeboten werden?
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Um die Forschungsfrage beantworten zu können, verwendete unsere Gruppe verschiedene Forschungsmethoden. Zum einen wurden semi-strukturierte Interviews mit Patrik Suter, dem CEO des JUWO und Larissa Steiner, Co-Leitung der Rechtsberatung des Mieter:innen Verband Zürich, geführt. Neben den beiden Interviews hat sich unsere Gruppe mit verschiedenen Student:innen getroffen, welche in JUWO-Wohnungen leben oder gelebt haben. Mit ihnen wurden zwei Fokusgruppen (eine Gruppe mit fünf Personen und eine Gruppe mit sechs Personen) durchgeführt, um sich über die Erfahrungen der Studierenden, sowie der Nutzen von Vermittlungsorganisationen wie des JUWO auszutauschen. Erwähnenswert ist, dass alle fünf Mitglieder des Forschungsteams auch selbst schon in JUWO-Wohnungen gelebt haben. Auch wenn uns unsere persönlichen Erlebnisse bereits bestimmte Einblicke gegeben haben, lag der Fokus der Untersuchung dennoch auf den Erfahrungen der Studierenden in den Fokusgruppen.​​
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Es war voll nice und es war günstig und in der Stadt Zürich findest du halt einfach sonst keinen Wohnraum.
Erleben temporärer Wohnmodelle
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Die Nutzung temporärer Wohnmodelle wie jene des JUWO wird von den Studierenden zumeist als ambivalent empfunden. Einerseits bietet die Plattform eine wertvolle Möglichkeit, bezahlbaren Wohnraum in einer von Wohnungsnot betroffenen Stadt wie Zürich zu erhalten. Andererseits wird das Wohnen stark von Unsicherheit, Intransparenz und Kommunikationsproblemen geprägt.
Ein zentrales Thema ist die begrenzte Dauer der Wohnverhältnisse, die bei vielen Studierenden Unsicherheit auslöst. Temporäre Mietverhältnisse mit befristeten Verträgen schaffen emotionale und organisatorische Belastungen. Durch befristete Wohnverträge, entsteht ein permanenter Druck auf die Betroffenen, sich rechtzeitig nach einer Anschlusslösung umzusehen. Dies führt dazu, dass viele bereits parallel zum Einzug mit der nächsten Wohnungssuche beginnen müssen. Wie eine Person aus der Fokusgruppe ausdrückt:
Jetzt habe ich fast ein Jahr und deshalb nehme ich mir jetzt die Zeit... um nicht mehr im JUWO zu leben und etwas Unbefristetes zu haben. Einfach irgendwie ein bisschen Safety. Weil es hat schon ein bisschen gestresst... Man hat sich nie auf etwas einlassen können.
(Fokusgruppe, 02.05.2025: 1033f)
Das Wohnen via JUWO ist für viele nicht langfristig planbar und wird daher eher als Zwischenlösung anstatt als stabile Wohnform erlebt.
Auch das Preis-Leistungs-Verhältnis wird unterschiedlich bewertet. Zwar ist der Mietzins bei JUWO, mit durchschnittlich 570.- im Vergleich zu anderen Anbietern tief, doch die Qualität der Wohnungen variiert stark. Während einige Teilnehmende das günstige Wohnen positiv hervorheben, berichten andere von Mängeln, die das Wohnerlebnis erheblich beeinträchtigen. So kommt es zu gemischten Einschätzungen seitens der Studierenden:
Es war voll nice und es war günstig und in der Stadt Zürich findest du halt einfach sonst keinen Wohnraum.
(Fokusgruppe, 30.04.2025: 993f)
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Hey ja, es ist auch ein bisschen teurer geworden, während ich dort gewohnt habe. Jetzt ist es irgendwie 550 Franken für mich und es hat noch zwei grössere Zimmer, die sind 600 etwas und ich finde das schon easy teuer für das, was es ist.
(Fokusgruppe, 30.04.2025: 644f)
Ein wiederkehrender Kritikpunkt ist die Kommunikation mit der JUWO. Viele Studierende schildern Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme. Mails blieben oft unbeantwortet und die telefonische Erreichbarkeit sei mangelhaft:
Und es war nur schon mega schwer, überhaupt den Kontakt aufzunehmen.
(Fokusgruppe, 02.05.2025: 1097f)
Auch wenn dringende Fragen zu Mietverträgen, Wohnungsübergaben oder Mängel bestehen, erhielten die Bewohner:innen teils über Wochen keine Rückmeldung. Dieses Gefühl, allein gelassen zu werden, verstärkt die Unsicherheit in einer ohnehin instabilen Wohnsituation.
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Unterstützung durch das JUWO
​Das JUWO versteht sich als soziale, gemeinnützige Organisation, die junge Menschen in prekären Wohnsituationen unterstützen will. Sie bieten über 3800 Beratungsstunden pro Jahr, Einführungsgespräche und Unterstützung bei Übergangslösungen an. Auch in Krisensituationen, etwa bei Betreibungen, zeige man sich kulant, wie dass das Interview mit Patrik Suter zeigte:
Also im Sinne aller sollte man das verhindern und wir sind in dem Bereich sicher viel sozialer und konsensorientierter unterwegs als die Privatwirtschaft, da geht das dann zack zack... Und bei uns wird gesprochen. Wir machen auch Abzahlungspläne.
(Patrik Suter, 01.04.2025: 550f)
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Aus Sicht des Mieter:innenverbands Zürich erfüllt JUWO grundsätzlich seine Pflichten:
JUWO ist sicher nicht bekannt als ausbeuterische Vermieterschaft.
(Larissa Steiner, 23.04.2025: 409f)
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Die Wohnraumvermittlung wird als wichtige Leistung gelobt. Kritik gibt es jedoch für häufige Mängel wie Schimmel, Heizungsausfälle oder defekte Waschmaschinen.
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Die Studierenden selbst berichten von einer Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität. Keine einzige Person der zwei Fokusgruppen hat je von den Erstgesprächen gehört, die das JUWO potentiellen Mieter:innen anbietet. In Krisensituationen fühlen sich einige allein gelassen, etwa bei einer drohenden Betreibung ohne Rückmeldung von der JUWO, wie eine Studentin berichtet:
Und dort hatten wir ein grosses Problem damit doppelt Miete bezahlen zu müssen... Ein Mitbewohner hat mehrmals versucht sie anzurufen, um irgendwie ein Gespräch zu suchen... Danach hat er ihnen auch eine Mail geschrieben, wo er die Situation erklärte. Worauf dann keine Antwort gekommen ist, soweit ich weiss. Wir haben dann die letzte Monatsmiete nicht bezahlt. Weil wir dachten das sei mega viel Geld, wenn wir jetzt zweieinhalb Monate doppelt Miete bezahlen müssen. Und jetzt vor drei Wochen oder so kam direkt eine Warnung für die Betreibung.
(Fokusgruppe, 02.05.2025: 1097f)
Zudem bleibt der Umgang mit finanziell benachteiligten Studierenden oberflächlich. Die Unterstützung von JUWO wird somit von den Studierenden deutlich schwächer wahrgenommen, als sie laut Organisation angeboten wird. Die Erfahrungen bewegen sich zwischen gut gemeint und frustrierend unzureichend. Eine weitere Gefahr besteht darin, dass Angebote wie das JUWO Studierende als homogene Gruppe betrachten, was strukturelle Unterschiede innerhalb der Zielgruppe, etwa ungleiche finanzielle Unterstützung, vernachlässigen könnte.
​Organisation des Wohnzugangs
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Das JUWO organisiert studentischen Wohnraum, indem es eigene Liegenschaften sowie Immobilien von Genossenschaften, Stiftungen oder privaten Eigentümer:innen temporär weitervermietet. Dabei wird auf möglichst günstige Konditionen geachtet. So entfallen für JUWO-Bewohner:innen etwa SERAFE-Gebühren, was jährlich Einsparungen von über einer halben Million Franken für die Organisation ermöglicht, was sich positiv auf alle Mieten auswirkt.
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Der Zugang zum Wohnraum ist dabei an klare Kriterien gebunden: Nur Personen unter 28 Jahren mit einem maximalen Bruttojahreseinkommen von 30’000 CHF und einem Ausbildungsnachweis sind antragsberechtigt. Aus Perspektive der Studierenden werden die Vergabekriterien jedoch nicht als transparent erlebt. Viele berichten, dass sie nicht genau wissen, nach welchen Regeln JUWO Wohnungen vergibt oder was bei der Auswahl tatsächlich entscheidend ist. Gerüchte über das «Sammeln von Absagen» oder über direkte Beziehungen, die den Zugang erleichtern, kursieren in beiden Fokusgruppen:
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Es ist sehr wenig Transparenz da. Man weiss irgendwie nie, ob man Absagen sammeln muss oder worauf es jetzt ankommt.
(Fokusgruppe, 30.04.2025: 270f)
Der Druck auf dem Wohnungsmarkt verschärft die Lage zusätzlich. Über 2000 Personen stehen derzeit auf der Warteliste. Um auf diese Nachfrage zu reagieren, vermittelt das JUWO neuerdings auch peripher gelegene Wohnungen, etwa in Dietikon oder Uetikon. Damit reagiert das JUWO pragmatisch auf den angespannten Wohnungsmarkt, bleibt dabei aber innerhalb eines, von ihnen klar definierten, strikt geregelten Systems.
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Weil es hat schon ein bisschen gestresst. Man hat sich nie auf etwas einlassen können.
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Diskussion
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Nach der Datenerhebung wurde schnell klar, dass sich die Perspektiven der einzelnen Akteur:innen stark unterscheiden. Das JUWO sieht sich in seiner Position als Wohnraum-Vermittlung als Teil der Lösung für die Wohnungsnot. Es erfüllt seine Rolle als Vermittlung gewiss und hat einen guten Ruf. Das wiederum hilft dabei, neue Partner:innen zu finden, die Wohnraum zur Verfügung stellen. Diese Möglichkeit braucht das JUWO um neben den eigenen Liegenschaften, welche die Organisation besitzt, weiteren kostengünstigen Wohnraum an Menschen in Ausbildung anbieten zu können. Auch bei Zusatzkosten ist JUWO bemüht das Leben der Studierenden einfacher zu machen, wie zum Beispiel durch das Streichen der SERAFE Gebühren.
Durch unsere Forschung wurde sichtbar, wie JUWO die Studierenden in Zürich unterstützen will und welche Herausforderungen damit verbunden sind. In der Umsetzung gibt es oft Lücken, denn es bleibt oft beim «gut gemeint» statt «gut gemacht». Die tatsächlichen Erfahrungen der Studierenden liegen oftmals zwischen positiven Unterstützungserlebnissen und Frustration. So kann es in den Wohnungen, welche des Öfteren nicht mehr auf dem aktuellen Stand sind, zu Problemen mit der Infrastruktur kommen. Mängel wie zum Beispiel Schimmel oder Kälte im Winter, durch ausfallende Heizungen, ausfallende Waschmaschinen oder vereinzelte Lärmbeschwerden kommen immer wieder vor. Diese baulichen Mängel, welche bei älteren, befristeten Wohnungen häufiger vorkommen, sind durch die zusätzliche mangelhafte Kommunikation seitens der Verantwortlichen, ein kritischer Punkt. Anstatt diese Mängel anzugehen, wird oft nicht reagiert, was die Lebensqualität der Mieter:innen beeinträchtigt, aber auch das Vertrauen in Organisationen wie das JUWO erschüttert. Eine Schwierigkeit für das JUWO ist, dass die Organisation oftmals nicht Inhaberin der Liegenschaften ist. So liegt es an den eigentlichen Besitzer:innen, Mängel zu beheben, was diese oftmals nicht wollen, da die Wohnungen in vielen Fällen nicht mehr lange halten werden.
So weigern sich viele Eigentümer:innen, in die Instandhaltung zu investieren, was wiederum dem Image von JUWO schadet. Es entsteht ein komplexes Spannungsverhältnis zwischen Besitzer:innen, JUWO und Mieter:innen, durch welches sich letztere oftmals allein gelassen fühlen. Dieses Dreieck aus Verantwortlichkeiten und Interessen führt zu Unsicherheit und Frustration bei den Betroffenen.
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Ein zentraler struktureller Punkt ist, dass die Kombination aus Wohnungsknappheit und der Zurückhaltung vieler Eigentümer:innen, in die Instandhaltung zu investieren, zu einer schleichenden Normalisierung von mangelhaften Wohnbedingungen führt. Für viele Studierende wird es zur akzeptierten Realität, in schlecht instandgehaltenen Wohnungen zu leben, da es schlichtweg keine Alternativen gibt. Diese Normalisierung birgt die Gefahr, dass die Standards für studentischen Wohnraum langfristig sinken.
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Fazit und Empfehlungen
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Auch wenn das JUWO von ihren Mietenden gewisse Kriterien verlangt (wie eine obere Altersgrenze von 28, oder einem jährlichen Mindestlohn von 30’000CHF und natürlich, dass man in einer aktiven Ausbildung ist) spürt die Organisation den steigenden Druck auf dem Wohnungsmarkt. Dennoch kann JUWO durch ihr Angebot vielen Student:innen helfen und ihre Ausbildung unterstützen. Viele Studierende erleben das Wohnen bei JUWO als eine Mischung aus Entlastung und Frust. Zum einen hat man ein Angebot für günstigen Wohnraum, auf der anderen Seite ist dieser oftmals befristet, was ein steter Wohnungswechsel und Stress bedeuten. Dazu kommen Kritikpunkte wie die Kommunikation mit der JUWO, welche oft schleppend läuft, durch Mails die unbeantwortet bleiben, oder Informationen, welche durch mangelnde Transparenz schwer nachvollziehbar sind.
Im Zürcher Wohnungsmarkt hat das JUWO seine Bedeutung bewiesen und erfüllt eine wichtige Funktion. Dennoch fühlen sich viele Studierende in ihrer mietrechtlichen Situation verunsichert. Um diese Situation für Student:innen weiter zu verbessern braucht es Anlaufstellen, wie den Mieter:innen-Verband welche Studierende über ihre Rechte aufklären können. Auch die Kontaktangebote des JUWO sollten ausgebaut werden, um die Probleme, welche durch das bereits erwähnte Spannungsverhältnis entstehen, zu beheben. Das JUWO beweist nämlich, dass günstiges Wohnen für Studierende keine Sache der Unmöglichkeit ist. Doch um ein Zuhause zu schaffen, braucht es ein offenes Ohr für die Stimme der Studierenden, um gemeinsam neue Wege für eine gerechte und nachhaltige Wohnraumgestaltung zu beschreiten.
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​Ein wesentlicher Aspekt ist zudem, die Normalisierung von mangelhaften Wohnbedingungen zu durchbrechen. Diese resultiert aus der Kombination von Wohnungsnot und fehlenden Investitionen in temporäre Wohnungen. Es braucht klare Regelungen und stärkeren Druck auf Eigentümer:innen, ihrer Instandhaltungspflicht nachzukommen. Nur so kann sichergestellt werden, dass auch temporärer Wohnraum den Mindeststandards entspricht und Studierende nicht gezwungen sind, schlechte Bedingungen zu akzeptieren.
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Im Rahmen dieser Forschungen zum studentischen Wohnen in Zwischennutzungen wurde ein Artikel in der Zürcher Studierendenzeitung publiziert:
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Zürcher Studierendenzeitung, 7. August 2025:
Wohnkrank: Wenn Mängel zur Gewohnheit werden
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â–² Abbildung 1: JUWO Wohnungen am Stüdliweg. Die Siedlung bot zwischenzeitlich 350 Studierenden Platz und wurde im Juni 2025 geräumt.
Foto von Simon Perlmutter, Juni 2025.

