
Raumvergabe
(K)ein Raum für alle – Eine kritische Auseinandersetzung der Organisation von Zwischennutzungen in der Stadt Zürich
Gruppe Governance, Juni 2025
Im Rahmen des Projekts «Stadt auf Zeit II» der Universität Zürich, welches sich mit nicht-kommerziellen Zwischennutzungen in der Stadt Zürich beschäftigt, sind wir als Forschungsgruppe auf einen offenen Brief der Autonomen Schule Zürich (ASZ) gestossen. Die ASZ ist ein selbstverwaltetes Projetk, das kostenlose Kurse anbietet und dadurch einen Gemeinschaftsraum schafft. Darin wird die fehlende Unterstützung durch die Stadt Zürich, insbesondere die kurzfristigen und ungeeigneten Raumangebote sowie die systematische Verdrängung migrantischer Projekte an den Stadtrand kritisiert (ASZ, 2015). Dies wirft eine zentrale Frage auf: Wem werden in der Stadt welche Räume zur Zwischennutzung zur Verfügung gestellt und welche strukturellen Bedingungen und Entscheidungsprozesse beeinflussen diese Verteilung?
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Die Organisation und Steuerung von kommerziellen und nicht-kommerziellen Zwischennutzungen spielt für die Stadtentwicklung eine entscheidende Rolle. Die Vergabe dieser Räume durch die zuständigen stadtinternen Gremien und Departemente beeinflusst nicht nur den Zugang und die räumliche Verteilung von Initiativen, sondern kann bestehende soziale Ungleichheiten verstärken. Während die Stadt wirtschaftlich orientierte Projekte bevorzugt fördert, geraten nicht-kommerzielle, soziale und bildungsbezogene Initiativen zunehmend ins Hintertreffen. Diese Förderpraxis begünstigt Verdrängungsprozesse, von denen insbesondere kritische und inklusive Bildungsorte wie die Autonome Schule Zürich (ASZ) betroffen sind.
Bei Zwischennutzungen entstehen erhebliche Interessenskonflikte: Auf der einen Seite steht das Bedürfnis und die Forderung nach bezahlbarem Raum für kulturelle und soziale Projekte, auf der anderen Seite wirtschaftliche Interessen und städtische Planungsstrategien. Diese Spannungsfelder erschweren eine gerechte Raumvergabe und begünstigen kommerzielle Nutzungen gegenüber gemeinwohlorientierten Projekten, da sich beispielsweise die Vergabekriterien der Raumbörse an diesen planerischen und politischen Vorstellungen der Stadtverwaltung orientieren.
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Methoden
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Um den räumlichen Aspekt unserer Fragestellung beantworten zu können, haben wir eine zeitlich aufgelöste GIS-Analyse mit allen uns bekannten Zwischennutzungen in der Stadt Zürich durchgeführt. Dazu zählten Räumlichkeiten der Stadt Zürich, welche durch die Raumbörse vermittelt wurden, sowie Objekte des Vereins Zitrone.
Zusätzlich haben wir mittels semi-strukturierten Interviews mit der IG Basislager, dem Verein Zitrone und Mitgliedern der ASZ weitere qualitative Daten erhoben. Ergänzend haben wir eine Dokumentenanalyse von öffentlich zugänglichen Dokumenten durchgeführt, die für unsere Forschungsfragen relevant sind.
Für die Analyse der erhobenen Daten haben wir uns auf ein deduktives Kodierschema gestützt. Zur theoretischen Fundierung des Kodierschemas bot sich Henri Lefebvres Konzept der Raumproduktion an. Lefebvre versteht Raum als ein gesellschaftliches Produkt, welcher durch politische, ökonomische und soziale Praktiken geformt wird und somit nicht neutral, sondern Ausdruck und Austragungsort sozialer Verhältnisse ist. Dieses Verständnis erlaubt es, Raum als konflikthaften Aushandlungsprozess zu begreifen, insbesondere in Bezug auf Fragen der Zugänglichkeit, Nutzung und Gestaltung (Lefebvre, 1996 & 1991). Darauf basierend konnten zentrale Kategorien der Vergabe von Zwischennutzungen identifiziert werden, die verschiedenen Aspekte städtischer Raumproduktion abbilden.​​​​
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Somit ist es relevant, sich kritisch mit der Frage auseinanderzusetzen, wie Zwischennutzungen in Zürich vergeben werden und welche Auswirkungen diese Vergabestrukturen haben. Daraus haben sich für unser Forschungsprojekt folgende Forschungsfragen ergeben:
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Wie sieht die räumliche Verteilung der Zwischennutzungen in der Stadt Zürich aus? Inwiefern bestehen räumliche Muster?
Wie wird die Vergabe von Nicht-Wohnraum zur Zwischennutzung in der Stadt Zürich organisiert?
Nach welchen Kriterien werden Räume für Zwischennutzungen vergeben und welche Möglichkeiten und Herausforderungen entstehen dadurch?​
​Wichtigste Ergebnisse
In Strategiedokumenten und Medienmitteilungen der Stadt werden Zwischennutzungen wiederholt mit Begriffen wie «Freiräumen», «Innovation» oder «Kreativität» in Verbindung gebracht. Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass die Stadt sich eines positiven Narrativs bedient. Diese Begriffe erfüllen dabei nicht nur eine beschreibende, sondern auch eine normative Funktion. Inhaltlich werden Zwischennutzungen damit als Orte des Wandels, der Vernetzung und des kreativen Potenzials charakterisiert. Sie stellen Zwischennutzungen als gesellschaftlich produktiv, zukunftsorientiert und kulturell wertvoll dar. Die Stadt verwendet insbesondere Begriffe wie «Kreativität», «Innovation» und «Denkfabrik», um ein junges und dynamisches Bild von Zwischennutzungen zu generieren, wodurch versucht wird, die Attraktivität der Stadt zu steigern und gleichzeitig Diversität, Vitalität und kulturelle sowie wirtschaftliche Attraktivität zu fördern.
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â–² Karte 1: Diese interaktive Karte visualisiert die räumliche Verteilung von Zwischennutzungen in der Stadt Zürich im Zeitraum von 2010 bis 2030. Dargestellt sind Dauer und Fläche einzelner Nutzungen, basierend auf öffentlich zugänglichen Daten der städtischen Raumbörse sowie mündlichen Informationen des Vereins Zitrone (Quelle: Eigene Visualisierung mit Produkten von Esri).
​​Räumliche Verteilung
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Die interaktive und zeitlich aufgelöste GIS-Karte zeigt alle uns bekannten Räume mit genaueren Informationen auf. Zudem soll die Karte von den einzelnen Nutzenden von Zwischennutzungen in der Stadt Zürich genutzt werden können, um die interne Vernetzung und Sichtbarkeit zu stärken.
Die räumliche GIS-Analyse hat ergeben, dass insbesondere im Aussersihl, im Industriequartier und in Oerlikon räumliche Cluster bestehen. Grundsätzlich sind die Zwischennutzungen zurzeit für kürzere Nutzungsdauern in Gebrauch (2-3 Jahre), vereinzelt gibt es aber auch längerfristige Zwischennutzungen, welche voraussichtlich 10 Jahre bleiben können. Zwischennutzungen entstehen dort, wo bestehende Strukturen, politische Bereitschaft oder wirtschaftliche Interessen dies zulassen. Dabei bleiben Randgebiete oder periphere Stadtteile oft unterversorgt, obwohl dort ebenfalls Leerstand vorhanden sein könnte.
Zudem wurde in den analysierten Dokumenten kritisiert, dass Zwischennutzungen in der Raumplanung nicht ausreichend systematisch oder zu spät mitgedacht werden.
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Zwischennutzungen müssen bereits bei den ersten Vertragsverhandlungen, bei der ersten Planung des Abrisses oder Neubaus mitgedacht werden
(Stadt Zürich Gemeinderat, 2022: 3)
Diese Kritik wurde auch in den Interviews bestätigt:
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Zürich hat da einfach irgendwie kein Potenzial. Sie überlegen es sich jeweils zu spät in der Planung
(Yves Sablonier, Verein Zitrone, 2025: 373)
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Vergabe von Nicht-Wohnraum
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​Die Tatsache, dass die Stadt Zürich Zwischennutzungen in ihrer Stadtentwicklungsstrategie integriert, lässt sich auch an der Organisation der Zwischennutzungen in der Stadt Zürich erkennen. Unsere Dokumentenanalyse hat gezeigt, dass die Organisation innerhalb von Abteilungen der Stadt Zürich und top-down stattfindet. Dies ermöglicht der Stadt eine direkte Steuerung von Zwischennutzungen und die Durchsetzung ihrer Ziele. Unsere Recherchen und die Dokumentenanalyse zeigen jedoch, dass die Entscheidungsprozesse nur begrenzt nachvollziehbar sind, . Iinsbesondere in Bezug auf die Beteiligten, die Auswahlkriterien und die internen Abwägungen.
Zudem fällt auf, dass in den offiziellen Dokumenten der Stadt Zürich zwar anerkannt wird, dass es zu wenige «günstige Räume» in der Stadt gibt, allerdings wird in den Dokumenten nicht weiter auf die Bedürfnisse der Stadtbevölkerung eingegangen. Es fehlen partizipative Elemente oder Lösungsstrategien oder Raum für Mitgestaltung. In den analysierten Dokumenten vom Verein Zitrone sieht dies anders aus, da der Verein als selbstorganisiertes Projekt weniger zentralisiert verwaltet wird, sondern eher auf Mitgestaltung und Mitbestimmung basiert.
​Vergabekriterien für Zwischennutzungen​
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Bei der Betrachtung der einzelnen Objekte und Ausschreibungen wurde ersichtlich, dass die geltenden Kriterien je nach Objekt sehr verschieden sind und unterschiedliche Gruppen angesprochen werden («Start-ups», «Kreativschaffende» oder «Kleingewerbe»). Die Begebenheiten der ausgeschriebenen Objekte spielen dabei eine grosse Rolle, seien es Grösse, Zugänglichkeit oder Ausstattung. Aber auch baurechtlich Rahmenbedingungen müssen bei der Vergabe berücksichtigt werden.
Aus der Dokumentenanalyse wird ersichtlich, dass insbesondere finanzielle Aspekte für die Vergabe von Zwischennutzungen relevant sind. Seitens der Stadt gibt es keine Subventionierung und die Kosten müssen kostendeckend von den Nutzenden selbst getragen werden. Obwohl Zwischennutzungen nicht kommerziell sein sollen, spielt wirtschaftliche Selbsttragfähigkeit also eine zentrale Rolle:
Die Nutzungsdauer muss die Refinanzierung allfälliger Kosten zur Nutzbarmachung der Räume zulassen
(Raumbörse 2025, 14)
Dies deutet darauf hin, dass auch nicht-kommerzielle Nutzer*innen gewisse ökonomische Standards erfüllen müssen, was Gruppen mit weniger Ressourcen möglicherweise ausschliesst. Dies stellt bereits eine mögliche Einschränkung in der Vergabe von Zwischennutzungen dar. Zudem berichten Gruppen mit politischem oder migrantischem Hintergrund von strukturellen Ausschlüssen. Anastasia von der ASZ (2025, 349f.) sagt dazu:
Wer klar benachteiligt wird, sind politische Organisationen wie unsere – oder ausländische Vereine.
Die bekommen in diesen Verfahren kaum Räume.
Lefebvre (1991) spricht in diesem Zusammenhang vom conceived space, also dem vorgestellten, geplanten Raum, der durch Regeln und Kriterien strukturiert ist. Obwohl die Stadt von Teilhabe spricht, scheint das «Recht auf Stadt» begrenzt und abhängig von institutioneller Anerkennung und sozialen Zuschreibungen zu sein. Zudem wird deutlich, dass im Zugang zu Zwischennutzungen eine gewisse Diskrepanz zwischen conceived space (offen, niederschwellig) und dem gelebten Räumen (lived space), geprägt von Bürokratie und Selektivität, besteht.
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Visuelle Darstellung
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Bei unserer Recherche ist aufgefallen, dass der Vergabeprozess und Vergabekriterien von Zwischennutzungen in der Stadt Zürich sehr kompliziert und schwer nachvollziehbar sind. Dies hat auch Yves Sablonier vom Verein Zitrone (2025, 160f.) in seinem Interview angesprochen: «…das ist bei der Stadt etwas komplizierter». Daran anschliessend wollen wir mit unserem Projekt die Ganze Thematik sichtbarer und zugänglicher machen. In einem ersten Schritt haben wir ein Organigramm erstellt, welches den Vergabeprozess der unterschiedlichen Räume darstellt. Um den Zugang zu diesen Informationen aber einfacher zu gestalten haben wir noch einen Comic erstellt, welcher die unterschiedlichen Zugänge zu Räumen und die damit verbundenen Herausforderungen vereinfacht darstellt.




â–² Abbildung 1: Diese Comicreihe visualisiert Prozesse und Herausforderungen bei der Vergabe von Zwischennutzungsräumen in der Stadt Zürich. Dargestellt werden verschiedene Wege zur Raumsuche, die Rolle von städtischen Departementen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen (Quelle: Eigene Visualisierung basierend auf den Projekterkenntnissen aus der Dokumentenanalyse und den Interviews, wobei kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird).
Ausblick
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Eine zentrale Herausforderung stellte der begrenzte zeitliche Rahmen sowie der eingeschränkte Zugang zum Forschungsfeld dar. Um ein umfassenderes Verständnis der Governance von Zwischennutzungen zu erlangen, wäre ein direkter Austausch mit Vertreter:innen der Stadt Zürich von grossem Wert gewesen. Leider liess sich dies im Rahmen unserer Arbeit nicht realisieren.
Allgemein gilt es festzuhalten, dass wir mit unserer Forschung nur einen kleinen Teil abgedeckt haben, da wir nur mit wenigen Akteur:innen gesprochen haben, die an der Organisation von Zwischennutzungen beteiligt sind. Eine vertiefende Auseinandersetzung mit der Organisation und Vergabe von Zwischennutzungen in der Stadt Zürich und der daraus resultierenden Machtstrukturen und Ungleichheiten wäre spannend.
Durch die Auseinandersetzung mit der Thematik von Zwischennutzungen wurde deutlich, dass eine engere Zusammenarbeit mit den betroffenen Personen zu fehlen scheint. Eine informelle Vernetzung unter Zwischennutzenden, wie dem Verein Zitrone, existiert bereits, diese Netzwerke dienen vor allem dem Austausch von praktischen Erfahrungen mit Behörden oder zur Organisation technischer Infrastruktur.
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Ein solcher Austausch wird von Yves Sablonier (Verein Zitrone) als wichtige Chance gesehen, sei aber noch ausbaubar. Verstärkt wird das ganze dadurch, dass auch politisch kein Diskurs zu diesem Thema stattfindet. Dies zeigt auch folgendes Zitat:
Und es wird einfach nicht diskutiert. Ich fände es sehr wichtig, dass man das mehr und unvoreingenommen diskutiert und nicht nur mit ausgewählten Gruppen, sondern wirklich versucht alle miteinzubeziehen. Dazu gehören auch die Besetzungen. Man muss auch mal zuhören, was die zu sagen haben. Aber da gibt es vielleicht auch einfach kein politisches Interesse da draussen.
(Yves Sablonier, Verein Zitrone, 2025: 395-398)
Unser Projekt hatte zum Ziel einen vereinfachten Zugang zum Thema Governance von Zwischennutzungen in der Stadt Zürich zu schaffen, den Vergabeprozess sichtbarer zu machen und gleichzeitig eine Möglichkeit zu bieten sich zu vernetzen, um Grundlagen für mögliche Veränderungen zu schaffen.​
Literaturverzeichnis
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Anastasia, Autonome Schule Zürich, Interview mit Gruppe Governance, 09.05.2025.
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Autonome Schule Zürich (ASZ). (2015). Offener Brief der ASZ zur politischen Situation und den Gesprächen mit der Stadt. URL: https://bildung-fuer-alle.ch/offener-brief-der-asz-zur-politischen-situation-und-den-gespraechen-mit-der-stadt/ (Zugriff: 10.03.2025).
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Lefebvre, H. (1991). The Production of Space (D. Nicholson-Smith, Übers.). Oxford: Blackwell. (Original erschienen 1974)
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Lefebvre, H. (1996). The Right to the City. In E. Kofman & E. Lebas (Hrsg. & Übers.), Writings on Cities (S. 63–181). Oxford: Blackwell. (Original erschienen 1968)
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Raumbörse Dynamo, Soziale Dienste Stadt Zürich. (2025). Raumbörse Dynamo. URL: https://www.raumboerse-zh.ch/sites/default/files/2025-03/2025.03.26_Raumbörse%20Broschüre_Web_final.pdf (Zugriff: 15.06.2025).
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Stadt Zürich Gemeinderat. (2022). 2021_0466 Protokollauszug substanziell. URL: https://www.gemeinderat-zuerich.ch/dokumente/d8d52d0674514bb6a570479040a96b02-332?filename=2021_0466Protokollauszugsubstanziell (Zugriff: 15.03.2025).
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Yves Sablonier, Verein Zitrone, Interview mit Gruppe Governance, 14.05.2025.